Elegant – und heute noch in Betrieb: Dieser Teil der 1890 eingeweihten Kölner Kanalisation wurde anlässlich eines Besuchs Kaiser Wilhelms II. mit Kronleuchtern ausgestattet.
Alle Wege führen nach Rom, sagt man bekanntlich. Lohnend ist allerdings auch der Blick auf die Wege, die aus Rom herausführen:
die vor über 2.000 Jahren erbauten Abwasserkanäle. Der bedeutendste dieser Kanäle war drei Meter breit, vier Meter hoch und führte mit gleichmäßigem Gefälle von der Innenstadt zum Tiber. Dieses Meisterwerk war nicht nur mit dem stolzen Namen „Cloaca Maxima“ ausgestattet, sondern auch mit einer Schutzpatronin samt Heiligtum: Venus Cloacina, Göttin der Reinheit und Sauberkeit.
Meilenstein(e): Heute noch erhaltene Teile der „Cloaca Maxima“ des antiken Rom
Auch wenn heutige Abwassernetze kaum mehr mit so viel Verehrung rechnen dürfen, wäre doch etwas mehr Wertschätzung angebracht. Denn betrachtet man die Geschichte der Kanalisation von ihren Anfängen um 3.000 v. Chr. im vorderasiatischen Euphrattal über die antike Blütezeit in den Städten Griechenlands und des Römischen Reichs bis in unsere Tage, so sind die Parallelen unverkennbar: Zivilisation geht einher mit Kanalisation.
Das zeigte sich umgekehrt in den mitteleuropäischen Städten des Mittelalters. Die antike Wasserbaukunst war weitgehend in Vergessenheit geraten. Abwässer und jegliche Hinterlassenschaften wanderten von den Häusern in die Gassen und bahnten sich ihren Weg offen durch die Städte. Es stank, Krankheiten verbreiteten sich, und die ausgefeilteste Gegenmaßnahme gehobener Bürger bestand aus einer Art Überziehhose, ähnlich unseren heutigen Anglerhosen. Der Herr des Hauses legt sie an, bevor er seine Frau vom Haus zum Pferd trug.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, mussten die Menschen bis in die Neuzeit auf leistungsfähige Kanalnetze warten. Mitte des 19. Jahrhunderts kamen in fortschrittlichen Metropolen Wasserklosetts mehr und mehr in Mode, was für einen starken Anstieg der Abwassermengen sorgte.
Diese Belastung in Verbindung mit einem außergewöhnlich heißen Sommer sorgte im London des Jahres 1858 für ein Ereignis, das als „Great Stink“ in die Stadtgeschichte einging.
Parlamentsabgeordnete und Richter waren bereits dabei, die Stadt fluchtartig zu verlassen um andernorts weiterzuarbeiten, als heftiger Regen Entlastung brachte. Doch die Londoner wollten den „Großen Gestank“ kein zweites Mal erleben und trieben den Aufbau eines modernen Abwassersystems mit Nachdruck voran.
Gepflegter Ausflug: Pariser Bürger sehen sich ihre Stadt von unten an. Darstellung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Auf dem europäischen Festland folgte man diesem Beispiel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfügten die meisten großen Städte über ein beeindruckendes Netz aus unterirdischen Kanälen, Schächten und Becken.
Da diese Systeme nicht nur das Schmutzwasser aus den Häusern abtransportieren, sondern auch das Regenwasser fassen, besitzen die zentralen Kanäle teils imposante Ausmaße. Einige sind an der Seite mit Gehwegen ausgestattet oder können mit Booten befahren werden.
Bisweilen traf und trifft man in dieser Unterwelt Menschen an, die dort eigentlich nichts verloren haben, wie zum Beispiel so manchen Geheimagenten im Wien der Nachkriegszeit. Der legendäre Filmklassiker „Der dritte Mann“ von 1949 mit Joseph Cotten und Orson Welles brachte dieses Treiben ans Licht – und lenkte zugleich die Aufmerksamkeit auf die besondere Ästhetik der Kanalarchitektur.
Showdown im Untergrund: Holly Martins (Joseph Cotten) jagt den skrupellosen Harry Lime (Orson Welles) durch die Wiener Kanalisation. Nicht zuletzt durch diesen Schauplatz wurde „Der dritte Mann“ zur Filmlegende.
Heutige Kanalnetze folgen oft dem Trennsystem: Das weitgehend unbelastete Regenwasser wird möglichst direkt in den natürlichen Wasserkreislauf zurückgeführt, also ohne Umweg über die Kläranlage. Dorthin gelangt nur Schmutzwasser, das durch getrennte Kanäle geleitet wird.
Ganz gleich, welchem Schema die Kanalisation einer Stadt folgt, als Bürger sollten wir uns hin und wieder bewusst machen, welche Glanzleistung der Planung und des Bauens sich da unter unseren Füßen ausbreitet. Das Herz einer Stadt mag als Zentrum sichtbar sein – ihre unterirdischen Adern sind für das zivilisierte Leben aber genauso wichtig.